Frau macht Yoga Übungen

Psychische Erste Hilfe: Ein Tabuthema,
das wir dringend aufbrechen müssen

Autorin: Doris Kubista, Trainerin (Gastartikel)
Lesezeit: 6 Minuten
Veröffentlicht am: 15.07.2025

 

 

 

Kennen Sie diesen Moment? Sie merken, dass etwas in Ihrem Umfeld nicht stimmt: Ihre Kolleg:innen am Arbeitsplatz wirken verschlossen und abweisend, Freund:innen ziehen sich immer mehr zurück oder ein Familienmitglied reagiert ungewöhnlich gereizt. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, kennt diesen Moment. Ein Gefühl von Machtlosigkeit, gepaart mit Ängstlichkeit, macht sich breit: Was soll ich tun? Wie kann ich helfen? Kann ich das überhaupt? Mache ich vielleicht alles noch schlimmer? Wie mache ich mich vor den Anderen jetzt nicht lächerlich? Und das Wichtigste überhaupt: Kann ich der Person helfen, ohne ihr mit meinem wohlgemeinten Verhalten vielleicht noch mehr zu schaden?

Die klare Antwort lautet: Ja, Sie können helfen. Und ja, Sie sollten es tun. Jede:r kann und sollte. Und ja, es ist wichtig für die Ersthilfe zu wissen, wie.

Die psychische Ersthilfe folgt keinem Standardprozedere. Sie ist nicht vergleichbar mit physischer Erste Hilfe. Die menschliche Psyche ist komplex und vielschichtig – und das macht sie so herausfordernd. Das Gute vorweg: Das wichtigste Werkzeug für eine erfolgreiche Krisenintervention tragen wir zumeist alle in uns: Empathie, Zuhören, Dasein. Aber: Was wäre in diesen Fällen empathisches, kompetentes und verantwortungsbewusstes Handeln im Sinne einer Ersten Hilfe? Der Werkzeugkoffer und die Bauanleitung für die Wiederherstellung des „Puzzles“ Psyche werden oftmals unterschätzt. Sie sollten regelmäßig auf Tauglichkeit geprüft werden und bedürfen mitunter eines Checks. Und genau hier setzen Expert:innen an.

Um Krisen – ob am Arbeitsplatz, im Freundeskreis oder in der Familie – besser und schneller einschätzen und darauf reagieren zu können, braucht es Bewusstsein und Wissen. Denn: Psychosoziale Krisen können jede:n von uns betreffen und sind etwas völlig Normales. Die Art und Weise sowie die Wirkung der Hilfestellung auf Betroffene werden sehr oft bagatellisiert und im saloppen Sprachgebrauch oftmals als übertriebene Achtsamkeit abgetan. Dabei kann genau diese Hilfe entscheiden, ob eine Krise zu einem Notfall wird. Zielgerichtete Ersthilfestellungen haben oftmals mit gravierenden Hemmnissen zu kämpfen, die man durch professionelle Wissensvermittlung in psychischen Erste-Hilfe-Kursen abbaut:

  • Vorurteile gegenüber psychischen Problemen,
  • Informationsdefizite über Hilfsangebote und
  • Angst, bei Hilfestellung Falsches zu tun, stechen dabei heraus.

Die steigende Zahl der Personen in der Bevölkerung, die von einer psychischen Krankheit betroffen ist, macht eine zunehmende Auseinandersetzung mit dem Thema Psychische Erste Hilfe unumgänglich. Laut Umfragen öffnet sich die Mehrheit der Betroffenen, wenn überhaupt, eher im Familien- oder Freundeskreis denn im beruflichen Umfeld. Umso wichtiger ist es, Awareness zu schaffen und auf eine breite Basis zu stellen, Berührungsängste abzubauen und psychische Ausnahmezustände zu enttabuisieren. Psychische Erste Hilfe stellt einen Erste-Hilfe-Koffer parat, um Warnzeichen zu erkennen, die richtigen Anlaufstellen zu finden und die seelische Gesundheit zu stärken.

Wir können gemeinsam daran arbeiten, psychische Hilfe zu einem selbstverständlichen Teil unseres Miteinanders zu machen: damit wir alle das nötige Werkzeug haben, wenn es darauf ankommt. Ein offenes Ohr, eine aufrichtige Frage und ein mitfühlender Blick können manchmal mehr retten, als wir ahnen, aber was dem Einen harmlos erscheinen mag, kann für Andere bereits ein beunruhigendes Warnzeichen sein. Von der psychosozialen Krise zum psychiatrischen Notfall, die Bandbreite der Ausprägungsmerkmale ist enorm groß und die Liste ihrer Begrifflichkeiten sehr lang. Der Weg von der Krise zum Notfall jedoch ist leider zu häufig ein sehr kurzer und macht psychische Erste Hilfeleistung umso wichtiger.

  1. Aktives Zuhören und Empathie zeigen: Hören Sie der betroffenen Person aufmerksam zu, ohne zu unterbrechen, und zeigen Sie Verständnis für ihre Gefühle und Wahrnehmungen.
  2. Sicherstellung der emotionalen Stabilität: Schaffen Sie eine ruhige und sichere Umgebung, um Angst und Verunsicherung zu reduzieren.
  3. Angebot von Unterstützung und Trost: Vermitteln Sie der Person, dass sie nicht alleine ist, und bieten Sie emotionale Unterstützung, beispielsweise durch beruhigende Worte, an.
  4. Respektvolle Kommunikation: Gehen Sie respektvoll mit den Gefühlen und Meinungen der Betroffenen um und vermeiden Sie wertende Aussagen.
  5. Informationen weitergeben: Geben Sie klare, verständliche Informationen über die Situation oder mögliche nächste Schritte, um Unsicherheiten zu verringern.
  6. Förderung der Selbstwirksamkeit: Ermutigen Sie die Person, selbst kleine Schritte zur Bewältigung ihrer Situation zu unternehmen, und stärken Sie ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.
  7. Erkennen von Anzeichen für akute Gefahr: Achten Sie auf Hinweise für Suizidgedanken oder andere akute Krisen und handeln Sie entsprechend, z.B. durch Kontaktaufnahme mit Fachstellen.
  8. Weiterleitung an professionelle Hilfe: Überweisen Sie die betroffene Person an geeignete Fachstellen oder Therapeuten, wenn eine längerfristige Unterstützung notwendig ist.
  9. Selbstschutz für Helfer:innen: Achten Sie auf Ihre eigene emotionale Stabilität und holen Sie sich bei Bedarf Unterstützung.
  10. Dokumentation und Nachsorge: Notieren Sie relevante Beobachtungen und stellen Sie sicher, dass die Person weitere Unterstützung erhält oder begleitet wird.

Diese Tipps sind allgemein gehalten und sollten je nach individueller Situation und den spezifischen Bedürfnissen der betroffenen Person angepasst werden. Wenn Sie Interesse daran haben, mehr über Psychische Erste Hilfe zu erfahren, könnte es sinnvoll sein, an einem Kurs teilzunehmen, um Ihre Kompetenzen und Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Im neuen Spezialkurs  Psychische Erste Hilfe für jede:n der Johanniter werden Teilnehmende geschult, wie sie Alarmsignale frühzeitig wahrnehmen und Menschen in psychischen Ausnahmesituationen beistehen können.
Übrigens: Im Rahmen unserer Sommeraktion sind alle Kurse im Juli und August 2025 für nur 40,- Euro erhältlich – eine gute Gelegenheit, sich weiterzubilden.

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Die Allianz Wahlarztversicherung übernimmt die Kosten je nach gewähltem Paket anteilig bis zum jeweiligen Limit.

Doris Kubista ist Sanitäterin, Trainerin und Vortragende für Erste-Hilfe und für Psychische Erste-Hilfe für jede:n bei den Johannitern Österreich.

Doris Kubista ©