Grüne Versicherungskarte

Nico Langmann im Portrait

von Lisa Riemann / Lesezeit: 3 Min / veröffentlicht am 11.02.2020

Dunkel und kalt ist es, die Fahrbahn voll Schnee. Eine typische Februar-Nacht in Tirol. Plötzlich – wie aus dem Nichts: Ein Auto blockiert die Straße. Die Fahrerin ist gezwungen auszuweichen, gerät dabei ins Schleudern, kommt von der glatten Fahrbahn ab und kollidiert mit einem Baum. Für den zwei Jahre alten Nico Langmann verändert sich von einer Sekunde auf die andere alles. In dieser Nacht wird seine Zukunft neu geschrieben.

„Dieses Jahr hatte ich 20 Jahre Jubiläum“, scherzt er, als er uns seine Geschichte erzählt. Dass es sich um ein Jubiläum der etwas anderen Art handelt, wird durch seinen Rollstuhl deutlich. „Meine Mama hat sich das Bein gebrochen, mein Bruder hat sich das Sprunggelenk angeknackst, und bei mir ist der Kindersitz so gebrochen, dass es mir die Wirbel auseinandergezogen hat. Dann haben mir die Einblutungen das Rückenmark abgequetscht“, beschreibt der Halb-Tiroler den Unfall.

Von da an drehte sich sein Leben um 180 Grad. Zu jung für eine Rollstuhl-Rehabilitation in Österreich, keine Geräte, kein Personal und keine Erfahrung mit Kleinkindern. In Moskau hat man einen alternativen Zugang gefunden. Neben Gewichte stemmen haben die russischen Therapeuten auch Nicos Mentalität geprägt: „Wir bringen dir nicht bei, wie du barrierefrei lebst, sondern wir bauen dir in diesen 8 Monaten ganz viele Barrieren auf, und du musst lernen, wie man sie überwindet“. Und so kam es, dass danach auch im Hause Langmann kein Rollstuhl verwendet werden durfte und Nico als Sohn einer Tirolerin und eines Steirers bis zum 12. Lebensjahr seinen eigenen Weg bis zu den Süßigkeiten im obersten Küchenregal finden musste.
Die Schulzeit – für viele eine Zeit, an die man sich nur ungern oder vielleicht auch gar nicht erinnert. Anders bei Nico – von wegen „behinderter Außenseiter“. Schon in der Schule wurde er umjubelt. „Als einziger Mensch mit körperlicher Beeinträchtigung hatte ich auch als einziger den heißbegehrten Liftschlüssel und wurde zum Star. Ich hab meinen Freunden wöchentlich Liftkarten um einen Euro verkauft. Richtig frech“, erinnert sich Nico gerne an seine Schulzeit zurück. Das Liftkartengeschäft florierte, doch durch seinen Bruder und seinen Vater fand Nico im Urlaub schon bald den Weg vom „Liftboy“ in die Tenniswelt: „Ich hab keine einzige Kugel getroffen, hatte aber riesen Spaß.“ Dem Beginn einer erfolgreichen Karriere im Rollstuhlsport stand von da an nichts mehr im Wege, und schon bald hieß es für den Heeressportsoldaten jeden Montag um 7.30 Uhr „Habt-Acht“ in der Sportkaserne Südstadt, um den Trainings-Wochenplan zu schreiben.
Sport spielt eine zentrale Rolle in Nicos Leben, egal ob Ball-, Winter- oder Rennsport, ob beruflich oder als Hobby in der Freizeit: „Als Österreicher schau ich mir immer die Skirennen an, aber ganz schlimm sind mein Bruder und ich bei der Formel 1, obwohl uns jeder immer sagt, dass das so ein fader Sport ist. Wir sind große Formel 1-Fans, große Ferrari-Fans.“ Neben seinem aktiven Lebensstil als Profi-Rollstuhl-Tennisspieler verbringt der sympathische Wiener gerne seine freie Zeit mit Freunden bei sich zu Hause, trinkt gemütlich Kaffee und spielt leidenschaftlich gern Karten: „Wir haben da ein richtig cooles Spiel konzipiert, und wir entwickeln es immer weiter. Es heißt Gambio. Wir spielen ca. 30% der Zeit, und 70% der Zeit diskutieren wir, wie wir die Regeln neu machen. Ziemlich blöd, aber es macht Spaß“.
Und wann schreibt Nico die Regeln noch neu? Dann, wenn er einen schweren Skiunfall mit seinem Monoski hat und Oberkiefer, Nase, Augenhöhlen und Stirn nach kompletter Zertrümmerung neu gebaut werden müssen. Seither sind Nicos Gesichtsknochen zur Hälfte aus Titan. Der erste Gedanke nach den überstandenen Operationen? – „Wann kann ich endlich wieder Tennis spielen?“ Spätestens damals wurde klar, dass Nico Vollblutsportler ist und eine immense Willensstärke besitzt, denn für sechs Monate auf das Tennisspielen zu verzichten kam nicht in Frage. Eine kreative Lösung musste her: „Am ersten Tag, als ich aus dem Krankenhaus draußen war, hab ich mir einen Vollvisier-Eishockey-Helm gekauft und dann drei Monate lang so trainiert. Die Leute, die vorbeigegangen sind, haben sich wahrscheinlich gedacht: ‚Was ist da los? Braucht jetzt jeder Rollstuhlfahrer einen Helm, oder was?‘“
„Ich bin sicher ein privilegierter Behinderter durch die Tatsache, dass ich nicht von Geburt an im Rollstuhl sitze, sondern die Behinderung in einer Situation entstand, als es einen Schadenfall und eine Versicherung gab, die die gesamten Kosten bis heute dafür deckt“, erklärt der 22-Jährige. Heute führt er ein aufregendes Sportlerleben, trainiert mit Wolfgang Thiem, spielt Turniere, reist um die Welt und gewinnt weltweit ständig neue Freunde und Pokale dazu. Eine besonders enge Freundschaft pflegt er zu Tenniskollege Dominic Thiem. Seit August zählt sein Vater, Wolfgang Thiem, zu einen von Nicos Trainern. 35 bis 40 Wochen trainieren die beiden gemeinsam: „Was mich vor allem motiviert ist der Spaß am Sport und dass man jeden Tag Verbesserungen sieht. Von jedem Trainingstag weiß ich: ‚Heute hab ich das geschafft und morgen bin ich besser‘. Mein großes sportliches Vorbild ist Rafael Nadal, ein großartiger Athlet und Kämpfer, der technisch eingeschränkt ist, das aber durch seinen Wettkampfwillen ausgleicht. Damit kann ich mich gut identifizieren.“

Aktuell auf Platz 30 der Weltrangliste der Rollstuhl-Tennisspieler, bereitet sich Nico auf sein nächstes Ziel, die Paralympics im August 2020, vor: „Jetzt trainiere ich mit Domi am selben Platz, wir spielen uns ein, sein Vater sagt mir genau dasselbe wie ihm, ohne das als besonders anzusehen.“ Sein nächst höheres Ziel: Einer der besten 8 Rollstuhltennisspieler zu werden, um beim Rollstuhltennis Grand Slam dabei zu sein. Und was passiert, wenn alles erreicht und die Sportkarriere zu Ende ist? „Ich kann mir gut vorstellen, in die politische Richtung zu gehen und mich als Behindertensprecher für gleiche Chancen einzusetzen“.

Das oberste Ziel? Inklusion, sowohl im Sport als auch im Leben: „Der eine geht, der andere rollt, aber Bälle schlagen müssen beide. Und im Leben ist es auch so. Der eine geht, der andere rollt, aber das Leben ist trotzdem gleich. Mir ist es wichtig, auch Menschen mit Beeinträchtigungen Mut zu machen – nach dem Motto: ‚Pfeif drauf, scheißt’s euch nicht an, ist eh das Gleiche‘.“

Sein Beruf als Heeressportsoldat sichert Nico zwar ein geregeltes kleines Grundeinkommen. Doch damit allein könnte er sich die regelmäßigen Trainingscamps – die zum Teil im Ausland stattfinden – und die zahlreichen Turnierreisen nicht leisten. Deshalb ist er als Einzelkämpfer auch auf Sponsoringpartner angewiesen, mit deren Hilfe er seine Berufung zum Leistungssportler umsetzen kann.
Seit 2015 ist auch die Allianz Partner des sympathischen Rollstuhl-Tennisspielers.